„Grenzdurchbruch“ – Nationalen Volksarmee (NVA)

Protokoll meiner Festnahme 1974

Wenige Tage vor meiner Entlassung aus der Nationalen Volksarmee der DDR (NVA) im Frühjahr 1974 ist mir als Schreiber der Kompanie doch noch ein Fehler unterlaufen. Statt dem roten Grenzschein habe ich einen grünen Grenzschein verwendet und prompt ist es aufgefallen. So habe ich kurz vor dem Ende meines 1 1/2 Jahres NVA-Wehrdienstes doch noch einen Tag in der Zelle der Grenzkompanie Wahlhausen / Eichsfeld zugebracht, mit Wache vor der Tür und ständigen Verhören. Seit 2002 ist die ehemalige NVA-Kaserne in Wahlhausen das „Pflegezentrum Am Hanstein“.

Das „Festnahmeprotokoll Nr. 66“ aus meiner Stasi-Akte

„…Beschreibung der für die Beurteilung des versuchten oder vollendeten Grenzdurchbruches wesentlichen Umstände:

9:00 ab Heiligenstadt mit Trabant LR 83-27 über Uder, Wüstheuterode zum KP (Kontrollpunkt) Dietzenrode. 9:30 Festnahme am KP-Dietzenrode. Er verhielt sich bei der Festnahme ruhig, äußerte sofort wahrscheinlich zur Rechtfertigung seines ungültigen Dokuments, das dies mit seinem KC (Kompaniechef) abgesprochen wäre. Mitgeführte Werkzeuge keine außer Kfz-Werkzeug. Führte bei sich Karte Maßstab 1:100 000 ohne Einzeichnungen. Geldbetrag 128,90 Mark; 0,10 Pfennige West…“


Verhalten während der vorläufigen Festnahme, Aussagen des Grenzverletzers (GV) über seine Absicht und Einschätzung des Grenzverletzers durch die Grenztruppen

„…Wollte nach Wahlhausen, um die Hühnerfarm bzw. G. May zu besuchen um sich mit ihm über seinen Vater, der 1968 gestorben ist, zu unterhalten, da beide befreundet waren. Besuch nach Rücksprache war nicht angemeldet. Wollte im Auftrag seiner Mutter zu Stallknecht Wilhelm, Wahlhausen um sich mit ihm über die Brieffreundschaft mit der er sich seit 1972 schreibt Helena Germonowa aus Leningrad zu unterhalten da sie seit Dez. Nicht geschrieben hat. Besuch bei Stallknecht war ebenfalls nicht angemeldet.

GV ist wohnhaft seit 1952 in Heiligenstadt und braucht eine Karte um bis nach Wahlhausen zu kommen. Unglaubwürdig. GV als Schreiber bei NVA eingesetzt. Kennt nicht Verhalten im Urlaub sowie Verhalten Einreise in das Grenzgebiet bzw. Schutzstreifen. Unglaubwürdig. GV hat starke verwandtschaftliche Bindungen in die BRD. Besuch in Heiligenstadt zur Mutter wurde durchgeführt.

Vorläufig sichergestellte Gegenstände:

  • PKW Trabant LR 83-27, Fahrgestell. 2103386 Benutzer Ziegler Johannes, Halter Johanna Ziegler;
  • 1 Bibel,
  • Fahrerlaubnis,
  • Zulassung,
  • Steuerkarte,
  • Autoschlüssel,
  • Dienstausweis 72/457917,
  • 1 Karte,
  • Urlaubsschein,
  • Geldbörse mit 128,90 MDN;
  • 0,10 Mark West,
  • Diverse Papiere.(Unterschrift Hptm.)

(Schriftlich angefügt)

Maßn. Befehl K-GR-4 Begleitung bis Kp. Diezenrode. Sofortiges Aufsuchen des Elternhauses. Befehl übermittelt 24.03.1974. 13:45 (Unterschrift)…“

Kreisdienststelle Heiligenstadt – Aktenvermerk vom 17.04.1974 / Kopie aus meiner Stasi-Akte

„…Am 13.04.1974 teilte der Abv. von Wahlahausen, Gen. Ettingshausen, unterzeichneten Mitarbeiter folgenden Sachverhalt mit:

Ende März wurde am Schlagbaum  Dietzenrode der

Ziegner, Johannes
geb. 16.10.52 in Heiligenstadt
wohnh.: Heiligenstadt, Hospitals.
z.Z. Angehöriger der NVA / Schreiber o. ä.

festgenommen.
Z. war in Zivil mit dem Pkw seiner Mutter unterwegs und wollte u.a. den LPG-Vorsitzenden von Wahlhausen, Günther May, besuchen. Gegenüber dem Posten brachte Z. zum Ausdruck, daß er bezüglich seiner Einreise in den Schutzstreifen bereits mit dem Komp.-Chef gesprochen habe. Da die Posten davon keine Kenntnis hatten wurde Z. gründlich kontrolliert. Er hatte keine gültigen Einreisedokumente.

Laut Weisung des Komp.-Chefs soll er zurückgeschickt worden sein. Der Z. selbst kennt die angegebenen Personen zu denen er wollte nicht. Der Vater des Z., er ist bereits verstorben, war LPG-Vorsitzender in Heiligenstadt und kannte den Günter May. Die Mutter des Z. ist als Lehrerin in Heiligenstadt tätig.

Es ist nicht üblich, dass Personen, die am Schlagbaum Dietzenrode angefallen sind, nicht der VP übergeben werden.

Otto, Ltn…“

Kreisdienststelle Heiligenstadt – Aktenvermerk vom 24.04.1974
Kopie aus meiner Stasi-Akte

„…Am 23.04.74 wurde mit dem stellv. Kompaniechef der 12. GK (Grenzkompanie), Gen. Ltn. Krause, bezüglich der Informationen zu Ziegner Rücksprache genommen.

Es wurde bekannt, daß Z. bereits am 11.3.1974 illegal in  Teistungen weilte und nach eigenen Angaben den Landarzt Dr. Popering (Hausarzt der Familie) aufsuchen wollte. Beim jetzigen Vorkommnis brachte er ebenfalls zum Ausdruck, daß er Verwandte bzw. Bekannte seines Vaters (dieser ist vor einigen Jahren verstorben) in Walhausen aufsuchen wollte. Es handelte sich hierbei um die Familie Gastrock-Mai, Günter und Stallknecht, Wilhelm.

Beide Familien hatten jedoch vom Besuch des Z. keine Kenntnis und kannten diesen selbst nicht. Sie waren nur mit dessen Vater bekannt gewesen. Der Z. brachte bei der Vernehmung in der Kompanie zum Ausdruck, daß er sich seinen Urlaubsschein selbst ausschreibt, da als Schreiber in seiner Einheit tätig ist. Sein Kompaniechef würde diese Urlaubsscheine jeweils unterschreiben.

Zu seinen Verwandten in der BRD brachte der Z. zum Ausdruck, daß eine Tante Dekau, Eva in Kassel wohnhaft ist. Deren Ehemann wäre hier als Richter tätig. Ein Onkel Ziegner, Martin wäre in Wolfsburg wohnhaft und als Direktor der dortigen VW-Werke tätig. Ein weiterer Onkel Kastrock wäre als Direktor in der Kohleindustrie, genaue Wohnanschrift nicht bekannt, tätig. Die Dekau weilte bereits zu Besuch in Heiligenstadt.

Zur weiteren Entwicklung des Z. wurde erarbeitet, daß er in Halle an der Martin-Luther-Universität Theologie studieren will.

Auf Befehl des Rgt.-Kdr. (Regimentkommandeur) wurde Z. bis zum KP Wüstheuterode begleitet und von dort nach Hause geschickt.

Op. Mitarbeiter
Otto, Ltn.

(handschriftliche Anmerkung)

– kommt im April 74 zur Entlassung von NVA, 26.4.
– ist zu Hause 30. 4….“

Aus der Stasiakte meiner Mutter:

"versuchter" Grenzdurchbruch 1974

„versuchter“ Grenzdurchbruch 1974

„… 2. Ziegner, Johannes
…52 Heiligenstadt
wh. wie oben
Student s. 12.9.74 NW Halle, Frankeplatz 01/08
– Ber. 17.4.74 Gen. Otto: GO-Verletzung Schlagbaum Dietzenrode, wollte LPG-Vors. May, Wahlhausen besuchen. Er befand sich in Begleitung seiner Mutter (handschriftlich:)  ? mit PKW der Mutter! …“

Wahlhausen, Kaserne Grenzkompanie 1988

Wahlhausen, Kaserne Grenzkompanie 1988, im Keller die Zellen, in der ich einen Tag mit Verhören verbracht habe / Foto: ie Aufnahme wurde freundlicherweise von dem Ortschronisten in Wahlhausen, Herrn Horst Zbierski, zur Verfügung gestellt.
Er schreibt dazu: „…Das … Bild in Farbe habe ich 1988 heimlich von einem gerade neu errichteten Schornstein des LPG-Heizhauses aufgenommen und bis 1990 versteckt…“.

 

Hier wurde ich festgenommen.

Hier wurde ich festgenommen. Damaliger Vorposten. (Bild:Archiv)

Hier wurde ich festgenommen. (Bild Internet)

Hier wurde ich festgenommen. Damaliger Vorposten. (Bild: Archiv)

Letzte Reliquie vom einstigen Kasernenzaun.

Letzte Reliquie vom einstigen Kasernenzaun: ein Betonpfahl. Foto © JZ

Die ehemalige Grenz-Kaserne wurde nach 1990 zum Altersheim umgebaut.

Die ehemalige Kaserne der NVA-Grenzkompanie in Wahlhausen: seit 2002 ein Pflegezentrum

Foto © JZ
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Eine Antwort zu „Grenzdurchbruch“ – Nationalen Volksarmee (NVA)

  1. Horst Zbierski sagt:

    Ich bin Ortschronist in Wahlhausen. Das Pflegeheim besteht erst seit 2002. Ein Bild von dem Kasernen Komplex besitze ich. Beste Grüße Horst Zbierski

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