Plötzlich haben wir andere Sorgen

„Diskussion über Folgen der Vereinigung“

„Kieler Nachrichten“ Juli 1991

 „Mit der Öffnung der Mauer hatten wir plötzlich andere Sorgen. Vorher nahmen tausend Menschen am Friedensgebet in der Kirche teil. Nachher waren es nur noch zehn.“ So faßte Pastor Johannes Ziegner aus Eisfeld in Thüringen jetzt in Bordesholm seine Eindrücke vom politischen Umbruch zusammen. Er war auf Einladung der Kirchengemeinde Klosterkirche und damit auch in der Diskussionsrunde im „Haus der Kirche“ zu Gast.

Hier ging es auch um Meinungen der Bordesholmer zu den Schwierigkeiten der deutschen Vereinigung. Die volkskirchlich geprägten Gemeinden und ihre Menschen in Thüringen haben unter dem SED-Regime bei erheblichen Schwierigkeiten durchgehalten, das wurde deutlich. Dabei wurden die Kirchengemeinden zu Notgemeinschaften und die Pastoren zu Managern. Alle Termine und Veranstaltungen mußten sie der Obrigkeit melden, bemühte sich Pastor Ziegner, die Ausmaße des Überwachungsstaates DDR Deutlich zu machen.

Und nach der Vereinigung: Für viele sei es bitter, nach 40 Jahren Arbeit in einem Betrieb nun nicht mehr gebraucht zu werden, sagte Ziegner zur Lage der Menschen und der Betriebe. Von der Arbeitslosigkeit seien insbesondere die Jugendlichen betroffen. Im Vordergrund stünden die finanziellen Sorgen. „Die Sieger kommen und nehmen uns alles“, dies sei eine der oft geäußerten Meinungen in seiner Heimat.

Die Menschen in den beiden Teilen Deutschlands wurden ganz unterschiedlich erzogen, was jetzt Auswirkungen habe: In der ehemaligen DDR befänden sie sich jetzt in einer Lage, in der nicht mehr für sie gedacht wird, sondern in der sie selber denken müssen. Das sei angesichts der großen Probleme sehr schwer.

Andere Sorgen

Andere Sorgen

„In den kirchlichen Räumen konnte man seine Meinung sagen“, berichtete Frau Ellen Ziegner, die Gattin des Pastors. „Man mußte stark sein, um den Druck von oben zu überstehen.“ Jetzt, nach der Vereinigung, musse man dankbar sein, daß diese Vereinigung schnell stattfand, denn die Panzer hatten bereits Marschbefehle. Man müsse auch bedenken, daß die Menschen in einem Getto gelebt haben. „Jetzt müssen wir zu beiden Seiten des früheren Eisernen Vorhangs lernen, uns zu begegnen.“ Danach lassen sich alle anderen Probleme lösen, meinte Frau Ziegner.

Den Gottesdienst in der Klosterkirche gestalteten Pastor Ziegner und Pastor Gerhard Obst (Bordesholm) gemeinsam. Der Gast wies in seiner Predigt auf die aktuellen Bezüge eines Liedes von Martin Luther hin. Viele Menschen leiden unter der Last eines „Nein“. Man stehe unter tausend Forderungen, schaffe das Leben nicht, und stelle sich die Frage, wozu eigentlich Abmühen, es ist ja doch alles vergebens, sagte Pastor Ziegner. Martin Luther verdeutliche in seinem Text, daß Gott dem Menschen entgegenkommt, folgerte er. „Wir kommen aus unserer Niedergeschlagenheit nicht allein heraus.“

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