Friedensgebet 1989 in Eisfeld

Trotz Angst mutig!

Auszug Tagebuch, 30.10.1989

„…Im Friedensgebet in der Eisfelder Kirche habe ich vor ca. 1000 Menschen am 30.10.1989 gepredigt und anschließend dazu aufgerufen, daß wir nach dem Schlußgebet still und mit brennenden Kerzen alle zum Volkshaus ziehen. Im Volkshaus fand  ein „Rathausgespräch“ zur derzeitigen Situation statt. Ca. 800 Kirchgänger ziehen diszipliniert und leise durch Eisfeld zum Volkshaus. Dort angekommen mußte das „Rathausgespräch“ unterbrochen werden, weil erst einmal für die „Vielen“ Platz geschaffen werden mußte.

Dann war Fragestunde. Jemand fragt aus der Menge einen anwesenden Genossen auf dem Podium: …Warum haben wir immer so schlechte Luft in Eisfeld und Umgebung?… Die Antwort des Genossen vom Rat des Kreises Hildburghausen: …Weil wir immer Westluft haben!… Ohrenbetäubendes Gelächter im ganzen Saal.  Ab da werden die Antworten der Genossen nicht mehr ernst genommen und mit Lachern und Buhrufen begleitet.

Im Ganzen war das schon ein mulmiges Gefühl. Alles, was wir im Volkshaus und auch im Friedensgebet gesagt haben, hätte uns Verantwortlichen ausreichend Haft einbringen können, wenn der Staat durchgegriffen hätte. Gott sei Dank ist das alles gut gegangen.

14 Tage später wurde die Staatsgrenze für immer geöffnet. Im Friedensgebet in der Eisfelder Kirche saßen jetzt 10 Leute verteilt in den Bänken. Die anderen standen um die Kirche herum im Stau Richtung Coburg…“

Am Montagbend, 30.10.1989,
im Eisfelder Kulturhaus „Volkshaus“ notiert:

Aller Anfang ist schwer…

FÜR GEWÖHNLICH kommt man aus dem Rathaus klüger heraus, als man hineingegangen ist. Nach dem 1. Eisfelder Rathausgespräch am Montagabend kam mir diese Spruchweisheit in den Sinn. Wie mag es den mehr als 800 Teilnehmern einschließlich derer, die mehr als 3 Stundenlang zuzuhören und Rede und Antwort zu stehen hatten, gegangen sein? Kamen sie klüger aus dem Kulturhaus, das an diesem Abend seinem Namen alle Ehre machte? Letztlich eine Frage, die sich jeder einzelne selbst beantworten muß. Dem Berichterstatter bleibt – zunächst – nur eine Schilderung der Ereignisse, was ihm zumindest zwei ernsthafte Probleme bereitet: Zum einen muß er sich – wiederum zunächst – an vielen Stellen einer eigenen Meinung zum Gesagten enthalten, obwohl sie ihm als Bürger der Stadt Eisfeld auf den Nägeln brennt. Zum anderen ist er aus Platzgründen gezwungen, vieles, was auch hätte geschrieben werden können, weil es gesagt wurde und jede Meinung zählt, wegzulassen. Der Leser möge beides tolerieren wie übrigens auch die Möglichkeit, daß Namen falsch geschrieben werden, weil sie beim Zuhören notiert wurden.

ZU SAGEN hatten viele etwas, die der Einladung zum Rathausgespräch gefolgt waren. Mehr als 30 Redner nutzten die Möglichkeit, ihre Gedanken, Meinungen, Hoffnungen, Wünsche, Kritiken und Vorschläge zu äußern. Die Art und Weise, wie dies geschah, reichte von sachlich-nüchtern bis zu unsachlich-beleidigend, ja auch „Schläge“ unter die Gürtellinie blieben nicht aus. Ähnlich verhielt es sich mit den Reaktionen im Saal, von wo den einzelnen Rednern mit Beifall, mit Pfiffen, Buh-Rufen und anderen Unmutsäußerungen Zustimmung bzw. Ablehnung signalisiert wurden.

Die Atmosphäre sei vor allem deshalb beschrieben, weil sie zeigt, daß das Miteinander-Reden noch ungeübt, weil ungewohnt erfolgte, daß man lernen muß, daß Dialog nicht nur Reden, sondern auch Zuhören heißt. Was im übrigen kein Vorwurf sein soll, sondern eine sachliche Feststellung, der auch hinzugefügt werden muß, daß dieser Lernprozeß schon an diesem Abend begann, denn nach anfänglich sehr emotional geladener und unübersichtlicher Diskussion wurde es im Verlaufe des Abends merklich ruhiger, sachlicher und konkreter.

VIEL WAR DIE REDE von Problemen und Widersprüchen, die derzeit in der ganzen Republik einer dringenden Lösung harren. Hier waren nicht immer kompetente Antworten möglich, ging es in erster Linie wohl auch mehr darum, Hoffnungen und Wünsche, aber auch Ängste zum Leben in diesem Land zu artikulieren. Mehrmals hinterfragt wurde die Verantwortung der SED für Fehler der Vergangenheit, zum Beispiel von Otto Armann: „Die SED hat viele Entscheidungen durchgeboxt, wer vertritt jetzt die Fehler? Wer ist bereit, auch für Fehler einzustehen?“ Ortsparteisekretär Joachim Soltysek hatte bereits zuvor geäußert: „Ich drücke mich nicht vor der Verantwortung für falsche Entscheidungen.“

Hans Hartwig, stellvertretender Bürgermeister seit 6 Jahren, zum gleichen Thema: „Ich habe zu meiner Partei gestanden, und ich stehe zu ihr. Aber ich distanziere mich von solchen Leuten, die Wasser gepredigt und Wein getrunken haben, die Trabant gesagt haben und Mercedes gefahren sind, die uns erzählt haben, wie schön es sich in unserem Land leben läßt, und Urlaub im westlichen Ausland gemacht haben. Solches Verhalten hat unserer Partei geschadet, Vertrauen gekostet.“ Zum Thema Funktionärs-Privilegien äußerte sich auch Zeiss-Betriebsdirektor Adolf Stirzel, der über seinen durchschnittlichen Stundenlohn, seine Jahresendprämie, seine Wohnverhältnisse und über Dienst- und Privatauto Auskunft gab. Vikar Bodo Dungs forderte Kontrollmöglichkeiten gegenüber Partei- und Staatsfunktionären und das Ablegen von Arroganz gegenüber den Bürgern nach dem Motto „Ich bin ein Genosse und wer bist du?“ Vielfältig der Forderungskatalog, den Manfred Oginski gleich zu Beginn vorbrachte: mehr Mitspracherecht, Recht auf Demonstrationen, Zulassung von Gruppierungen wie das „Neue Forum“, Pressefreiheit, uneingeschränkte Reisefreiheit, aber auch, daß sich im täglichen Leben einiges ändert, daß man zum Beispiel auch nach 16.00 Uhr noch Milch in der Kaufhalle bekommt.

FRAGEN UND KRITIKEN ZUM WAHLRECHT sowie zum Verlauf der Kommunalwahlen am 7. Mai nahmen einen breiten Raum ein. Mehrere Redner forderten künftig die Auswahlmöglichkeit zwischen mehreren Kandidaten (Dr. Axthelm, Günter Recknagel), Hans Sprockhoff plädierte dafür, den Gang in die Wahlkabine künftig zur Pflicht zu machen. Bodo Dungs kritisierte, daß er auf eine mündliche Eingabe bezüglich des Wahlverlaufs im Eisfelder Rathaus am 7. Mai keine Antwort bekommen habe, wofür Bürgermeister Gerd Braun persönlich die Verantwortung übernahm.

LEICHTER FIELEN DIE ANTWORTEN zu den vielen kommunalen Fragen, über die man sich verständigte. Besonders ausführlich wurde dabei das Thema Umweltschutz debattiert. Angesprochen wurden u.a. das Verbrennen von Spanplatten im Möbelwerk, der qualmende Schornstein der Porzellanfabrik (Thomas Achtelstätter), die zunehmende Verschmutzung der Werra und der hohe Anfall von Gülle in der Landwirtschaft (Udo Oleska), die Industrieabwässer (Herbert Nickel). Anette Philipp, zuständiges Ratsmitglied, kündigte für das nächste Jahr spürbare Veränderungen an, verwies auch auf konkrete Auflagen an die Betriebe. Manfred Schröder und Dr. Hans- Henning Axthelm appellierten aber auch an das Verantwortungsbewußtsein jedes einzelnen Bürgers in Sachen Umweltschutz. Auf die Frage von Ute Schuchardt nach Spielplätzen kündigte Hans Hartwig für 1990 eine Lösung in der Stadtmitte an. Mehrmals auf konkrete Wohnungsprobleme angesprochen, bat Bürgermeister Gerd Braun um Verständnis, daß „wir noch nicht immer so helfen können, wie wir wollen“. Kritisiert wurden von Frau Gärtner und Ingrid Schröder, selbst VSt-Leiterin, die unverständlichen Öffnungszeiten mancher Geschäfte. Frau Gärtner fragte: „Was erfindet man noch, um Läden früher dicht zu machen?“ Zum von Frau Gärtner formulierten Wunsch vieler Eisfelder nach einem Schwimmbad äußerte sich Adolf Stirzel als Vorsitzender der Interessengemeinschaft der Stadt: „Wenn wir das notwendige Geld erwirtschaften und uns zu den notwendigen Leistungen bekennen, können wir das Bad bis 1995 bauen.“

DER DIALOG, da waren sich alle einig, soll weitergehen, als Rathausgespräch ebenso wie in kleineren fachspezifischen Gruppen interessierter Bürger. Bleibt zu hoffen, daß er zu dem wird, was Harry Schmidt, Dr. Axthelm, Helmut Thieß und Manfred Schröder forderten: zu einer sachlichen und konstruktiven Aussprache darüber, was nun zu tun ist. Daß da jeder zuallererst an seinem Platz, in seinem Fachgebiet gefordert ist, auch das wurde mehrmals betont und stimmt zuversichtlich.“

HANS-H. LANGGUTH
Das Rathausgespräch nach dem Friedensgebet 1989 in Eisfeld.

Das Rathausgespräch nach dem Friedensgebet 1989 in Eisfeld.

Das VOLKSHAUS, heute zumeist Getränkemarkt.

Das VOLKSHAUS, heute zumeist Getränkemarkt.

Foto © J. Ziegner
Demo in Eisfeld.

Demo in Eisfeld.

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