Bildung ist Investition in die Zukunft!

Sprechvorlage zum Schulpolitisches Gespräch mit den Parteien im Thüringer Landtag zum Gesprächsthema: Kirchliche Schulen

Katholische Bildungsstätte St. Martin
Erfurt, Farbengasse 2

„Sehr geehrte Damen und Herren,

„…Nichts ist für die Menschheit nützlicher und nötiger, als das schulische Leben…“, sprach Philipp Melanchton vor ca. 500 Jahren.

Schulisches Leben liefert die Basis für die Kompetenz in unserer Gesellschaft, sich darüber zu verständigen, was wünschenswert ist und wie die Zukunft aussehen soll.

Stellt sich schulisches Leben nicht diesen Herausforderungen, entstehen  Gefahren für unsere Demokratie. Nach 40 Jahren Gleichförmigkeit in Bildung und Schule – wir brauchen wahrscheinlich weitere 40 Jahre zur Aufarbeitung – haben Kirchen und  Kirchenkreise  in Thüringen Initiative gezeigt und zusammen mit Eltern,  Fördervereinen und Lehrern Schulen gegründet, die Zeichen in die Thüringer Bildungslandschaft setzen.

Dem Kultusministerium – und insbesondere dem Kultusminister Dieter Althaus – möchte ich besonders danken, daß sie zusammen mit ihren Mitarbeitern in den zurückliegenden Jahren großzügig mitgedacht und mit gefördert haben. Ansonsten wäre manch guter Gedanke, manche Idee, manche Aufbauarbeit bereits im Ansatz stecken geblieben.

Die Kirchen verstehen ihre Schulen als ganzheitlichen Lebensraum. Lernen und Leben vollziehen sich in einer besonderen Situation, die Raum gibt für das Lernen, und offen ist für soziale Erfahrungen und Selbsterfahrungen. Die Gestaltung dieses Lebensraumes und der pädagogische Umgang mit diesem sind lernrelevant. Deshalb geben wir unseren Schulen die Möglichkeit der Selbstbestimmung, Freiräume zur Gestaltung und die Freiheit, Verantwortung wahrnehmen zu können und zu erproben. Auf diese Weise versetzen wir unsere Schulen in die Lage, ein eigenes Profil auszubilden. Wir legen wert darauf, daß unsere Schulen sich ganzheitlich verstehen, um zu einem Integrationsprozeß von Sachwissen und Selbstwissen zu gelangen.

Und pädagogische Veränderungen im Sinne dieser Integration erfordern einfach die Erprobung neuer Formen der Lernorganisation. Schulen in kirchlicher Trägerschaft haben sich zum Ziel gesetzt, ihren Kindern und Jugendlichen Schule als ihre Schule erleben zu lassen, um so bildendes Lernen zu ermöglichen. Die Schule muß dabei als ganzheitlicher Lebensraum sowohl auf die gesellschaftlichen Anforderungen als auch auf die persönliche Lage der Schüler achten.

Einladung Evangelische Grundschule Eisenach

Einladung Evangelische Grundschule Eisenach

Die spezielle kirchliche Sicht der Bildungs und Erziehungsverantwortung gründet sich dabei auf biblische Einsichten und auf bestimmte Grundgedanken der Reformation. Aus beiden ergeben sich folgende Aufgaben: Zu einem: die Würde des Menschen ist zu achten, denn Gott schafft die  Menschen zu seinem Ebenbild. Zum anderen: Schüler zur Mündigkeit erziehen. Weil Gott die Menschen als Person anspricht, sind sie ebenso zur eigenverantwortlichen Mündigkeit aufgerufen.

Des weiteren: Mitmenschlichkeit einüben. Weil Gott die Menschen einander als Nächste anvertraut, sind sie zu Mitmenschlichkeit in ihren verschiedenen Gemeinschaften bestimmt und zu Nächstenliebe aufgerufen.

Die Wirklichkeit verstehen, denn alle Erkenntnis der Wirklichkeit ist vorläufig und Menschen wenden sich in vielfacher Weise gegen Gottes Schöpfung. Darum ist es notwendig, die Wirklichkeit wieder neu unverstellt wahrzunehmen.

In dieser biblisch Einsicht wird der Mensch zwischen seiner Bestimmung, seinem Versagen  und der trotz allem beständigen Liebe Gottes zu seinen Geschöpfen gesehen. Dazu gehört eben auch der Umgang der Lehrer untereinander sowie der Umgang der Lehrer mit Schülern und Eltern. Die entgegengebrachte Wertschätzung wirkt sich dabei prägend auf ein ganzes Schulleben aus.

Weiter ist es Aufgabe der Schule, die Befähigung junger Menschen zu eigenständigem, verantwortlichem Leben in einer unübersichtlichen gewordenen Gesellschaft zu fördern. Vor jeder pädagogischen Bemühung steht somit die Anerkennung der unantastabaren Würde dieser jungen Menschen. Die Begründung der Menschenwürde in der Ebenbildlichkeit Gottes läßt  vier Dimensionen erkennen: Individualität, Sozialität, Erkenntnis und verantwortlicher Umgang.

Die Begabung des Menschen mit Würde hat dabei ebenso wie seine Fehlbarkeit Konsequenzen für das pädagogische Handeln in der Schule. Wir bejahen Leistung in der Schule, doch halten wir die Dominanz des Gleichheitsprinzip bei den Anforderungen nicht nur für ein Mißverständnis von Gerechtigkeit, sonder für mangelnde Achtung der Menschenwürde.

Schüler, Lehrer sind unterschiedlich – nach Herkunft, Begabung, Schicksal und psysischer Ausstattung. Das muß bei einem eigenständigen, verantwortlichen Leben stärker berücksichtigt werden. Für unsere Schulen bedeutet das: Individualisierung des Unterrichts bei allem was in Freiarbeit, Arbeitsgruppen sinnvoller selbständig erarbeitet werden kann,

-Förderung aller Formen gemeinschaftlichen Lernens,
-Bereitstellung der erforderlichen Zeit, damit auch langsamer arbeitende
Schüler zu ihrem Recht kommen,
-Beteiligung der Schüler an der Unterrichtsplanung,
-zugeben von Fehlern und von Versagen bei Lehrern und bei Schülern mit
der Chance von Neuanfängen im Geist der Vergebung,
-Solche Unterrichtsorganisationen und Arbeitsformen an unseren Schulen
  zeigen:
-eine Aktivierung unterschiedlicher Schülerfähigkeiten,
-deutlicher Rückgang der Unterrichtsstörungen,
-intensivere Lernprozesse,
-und ein verstärktes Gemeinschaftsbewußtsein.

Insgesamt kann ich sagen, erbringt die stärkere Achtung der individuellen Würde von Schülern nicht geringere Leistungen, sondern regt zum Ausprobieren der eigenen Fähigkeiten an. Darüber hinaus wird das soziale Lernen gefördert. Es kommen damit pädagogische Aufgaben in den Blick, die über den Unterricht hinausgehen:

1.  Angebote von Sozialpraktika,
2. Zusatzfach: Globales Lernen,
3. Wirtschaftwissenschaftlicher Zweig ab  9. Klasse
4. Morgenkreis, Schulgottesdienste, Einbeziehung des Kirchenjahres
5. Kooperation mit benachbarten Kommunen und Kirchgemeinden.

Lernen muß heute einfach in realen Lebenssituationen ermöglicht werden. Die Auswahl der Projekte muß dabei im wechselseitigen Austausch innerhalb des Kollegiums beantwortet werden. Vorstellen kann ich mir, daß über die gesamte Schulzeit hinweg einen Art Lernzirkel betrieben wird, der drei grundlegende und eng zusammengehörende Aufgaben wahrnimmt:

1. den Erwerb selbstbewußter Identität,
2. den Erwerb der Dialogfähigkeit und
3. die Fähigkeit zu toleranter Partnerschaft.

Die eigenen Identität gibt die nötige Sicherheit, auf den anderen angstfrei und offen zuzugehen. Dazu gehört zunächst die Begegnung und Auseinandersetzung mit dem eigenen christlichen Kulturerbe. Wichtig ist die Gestaltung und die lebendige Erfahrung eines religiösen Schullebens, in dem die Schüler mit ihrer Konfession und Glaubensfragen vertrauter werden.

Dialogfähigkeit bedeutet nicht harmonisieren. Vielmehr wird eine Streitkultur entwickelt, in der sowohl eigenen Positionen und Einsichten vertreten als auch die Überzeugungen der anderen respektiert werden. Die Einübung in die tolerante Partnerschaft zielt unbeschadet kultureller und religiöser Unterschiede auf ein vernünftiges und konstruktives Zusammenleben, zunächst im eigenen Lebenskreis, dann im Gemeinwesen, auf regionaler und überregionaler Ebene.

Unsere jungen Schulen in kirchlicher Trägerschaft brauchen Ermutigung, eigene Wege zu gehen und die vorhandenen Möglichkeiten auszuschöpfen. Seit acht Jahren gibt es nun schon Schulen in kirchlicher Trägerschaft. Es hat sich herausgestellt, daß sich die Schulen mit ihrem spezifischen Bildungsangebot geöffnet und somit ihre Lernanlässe und Handlungsspielräume erweitert haben.

Worum sich unsere Schulen bemühen, darf den anderen Schulen nicht vorenthalten werden. Die zwischen den einzelnen Schulträgern geführte Diskussion muß auf die schulpädagogische Einsicht hinweisen, daß das anzustrebende Schulsystem vom Ansatzpunkt der Stärkung der Selbständigkeit der einzelnen Schule her gedacht werden muß. Veränderungen in der Schullandschaft sollten stärker von der einzelnen Schule ausgehen. Mit Profilierung einzelner Schulen kommt schneller die Frage nach Inhalten und Zielen von Bildung ins Gespräch. Innovationen werden intensiver umgesetzt, weil sie von den Möglichkeiten der konkreten Situation ausgehen können.

Sollten Schulen den gesellschaftlichen und individuellen Anforderungen entsprechen, müssen sie Auskunft geben über das Profil ihres Lernangebotes. Die Diskussion darüber muß auch die Orientierung an wichtigen schulischen Rahmendaten im Auge behalten. Die Gefahr, aber auch die Chance des gesellschaftlichen Wandels hier und in Europa verpflichtet uns zum Handeln für eine hierauf vorbereitete Schule.

Um kontinuierlich die Weiterentwicklung der Schule zu sichern, müssen wir kinderfreundlichere Lebensräume schaffen. Zum Nulltarif ist das nicht zu haben. Deshalb darf Bildungspolitik nicht vorrangig unter finanziellen Gesichtspunkten gesehen werden. Versäumnisse können nicht nachgeholt werden. Schule muß auch in Zeiten knapper finanzieller Ressourcen ausreichend finanziert sein.

Wer Innovation, hohe Produktivität, soziale Sicherheit und Wohlstand will, braucht zukunftsfähige Schulen.
Bildung ist eine Investition in die Zukunftsfähigkeit unseres Landes.
Die zu lösenden Aufgaben setzen dabei die bewußte Partnerschaft aller  Beteiligten voraus. Dazu gehören die politischen Parteien, Regierungen, Träger, Schüler, Eltern und Pädagogen.

Wir erwarten von den Politikern, Rahmenbedingungen für eine Erziehung zur Zukunftsverantwortung zu schaffen, indem sie zeigen, wie eine Zukunftsgestaltung sachbezogen, partnerschaftlich und verantwortlich aussieht. Dazu gehört auch eine Begrenzung der Medienfreiheit da, wo Gewalt und Roheit als Lebensnormalität oder gar als Problemlösung dargestellt werden. Und wir bitten schließlich die Eltern, ihre Kinder in die Verantwortung für Entscheidungen in der Familie mit einzubeziehen.

Kirchliche Schulen sind kein Luxus, den sich die Kirchen glauben leisten zu können. Kirchliche Schulen stehen in einer engen Beziehung zum existenziellen kirchlichen Auftrag, den Glauben zu verkünden. Das heißt letztlich nichts anderes, als den Brückenschlag zwischen Glauben und Kultur zu wagen. Aus meiner Erfahrung kann ich ihnen sagen: Seitdem es es Schulen in freier Trägerschaft in Thüringen gibt, hat sich schon manches in dieser Bildungslandschaft geändert und das tut gut.

Ich danke ihnen.“

Schulreferent Pfarrer Johannes Ziegner
29. Juni 1999, 14.00 Uhr,
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