Grußwort zum Lehrertag 2004
von Johannes Ziegner
Erfurt. 19.09. 2004
„Meine sehr geehrten Damen und Herren,
liebe Lehrerinnen und Lehrer,
herzlich willkommen zum 2. Evangelischen Lehrertag im Freistaat Thüringen unter dem Thema: „Stark für das Leben“.
Seit wenigen Tagen berichten die Zeitungen über das Ergebnis der OECD-Studie, die Deutschland nach der PISA-Studie bescheinigt, dass dieses Land für Bildung auch in finanzieller Hinsicht nicht allzu viel übrig hat.
Deutlich wird für den Freistaat Thüringen, dass der Bildungsapparat im großen und ganzen relativ unbeweglich ist. Schulen in freier Trägerschaft können hier wesentlich schneller und effizienter handeln. Sie könne in kürzeren Zeiträumen reagieren und Veränderungen bewirken. Bei allen öffentlichen Diskussionen wird schnell klar, dass der Bildungsapparat in Deutschland und im Freistaat Thüringen nicht von heute auf morgen „so einfach“ umgebaut werden kann. Schulen in freier Trägerschaft sind aufgrund ihrer kurzen Verwaltungswege besser in der Lage, Herausforderungen gerecht zu werden und auch mit dem nötigen Engagement zu begegnen. Das befähigt sie, in dieser Gesellschaft – in dieser Bildungslandschaft – Zeichen zu setzen.
Die Ergebnisse der PISA-Studie und der OECD-Studie schocken. War da nicht vor Jahren die Rede von einem Ruck, der durch Deutschland gehen muss? Wir „rucken“ zwar alle immer wieder mal hin und her oder werden „tüchtig durchgerüttelt“, die entscheidende Positionsänderung ist jedoch noch nicht passiert. Schule sollte sich grundsätzlich als kompetente Bildungseinrichtung verstehen und gestalten. Evangelische Schule – will sie ernst genommen werden – muss zwar der Staatlichen Schule gleichwertig sein, ihr aber nicht gleichartig sein. Diese Gleichwertigkeit eröffnet große Freiräume für phantasievolles und pädagogisches Handeln. Bei der Gestaltung des Schulprofils, bei der intensiven Mitarbeit engagierter Eltern und einer motivierten kreativen Schülerschaft kommt es auf die Beteiligung aller an. Freien Schulträgern ist die Gestaltung der inhaltlichen Arbeit nach eigenen Vorstellungen von Methodik und Didaktik des Lernens mit eigenen Curricula erlaubt. Kinder und Jugendliche dürfen ihr Lernen selbst gestalten. Lehrerinnen und Lehrer sind dabei ihre Lernberater. Das Lernen geschieht hier auf eine andere Weise. Leider besteht immer wieder die Gefahr, die Lehrtätigkeit der Lehrkräfte an Evangelischen Schulen in Pflichtstundenzahlen auszudrücken. Nicht die Unterrichtsstunde ist das Maß aller Dinge. Die Schule und ihre Lehrkräfte sollen den Schülerinnen und Schülern das geben, was sie tatsächlich als Lernhilfe benötigen. Nur so vermögen sie als selbsttätig Lernende ihre selbst definierten Ziele zu erreichen.
Nach dem PISA-Schock geschieht nun genau das, was schon im Vorfeld schemenhaft erahnbar war: Lernerfolge sollen durch qualitative Vorgaben prüfbar gemacht werden. Bildungsstandards werden als staatliche Vorgabe eingeführt. Von freien Schulträgern wird die Beachtung dieser Vorgaben erwartet. Vergleichsarbeiten, vergleichende Untersuchungen und Leistungskontrollen in verschiedenen Klassenstufen erweisen sich zunehmend als Methoden, die freie Schulträger in das staatliche Normengefüge zurückdrängen und oftmals die Lust für eigene kreative Wege nehmen.
Schülerinnen und Schüler für das Leben zu stärken, heißt nicht, durch Fremdvorgaben das eigene Profil ganz oder teilweise aufzugeben. Deshalb ist der den freien Schulträgern gegebene Freiraum in der pädagogischen Gestaltung verstärkt zu nutzen, damit freie Schulen nicht nur wegen des Lernstoffes attraktive Schulen sind.
Evangelische Schulen sind mit der Freiheit ausgerüstet, zu der uns Christus befreit hat. Im Zentrum der Schule steht die Entwicklung des Kindes und des Jugendlichen zu einem erwachsenen, selbsttätigen und verantwortungsbewussten Menschen. Der Lernprozess wird um so erfolgreicher verlaufen, je unerzwungener das System ist, das ihn organisiert.
Unser staatliches Schulsystem ist nicht auf die Verschiedenheit von Schülerinnen und Schülern, Lehrerinnen und Lehrern eingestellt. Alle sind wir schnell dabei, Menschen auseinander zu sortieren, anstatt sie im Sozialgefüge zu belassen und uns mit ihnen dort zu beschäftigen. Ich bleibe dabei: Die Projektarbeit ist die Schule und nicht umgekehrt die Projektwoche grundlegend schulgestaltend.
Ich denke, Eltern sollen spüren, dass die Schule etwas für ihre Kinder tut. Wir sollten Eltern einladen, gemeinsam das Schulprogramm mitzuentwickeln und mitzugestalten. Nur so gewinnt die Schule inhaltlich sozial und kulturell ein eigenes Profil. Jeder, der mit einer Evangelischen Schule in Berührung kommt, soll sich als Teil der Schulgemeinde fühlen. Eine gute Evangelische Schule soll erfahrbar machen, dass Sprache – d.h. das miteinander und nicht das übereinander sprechen -sinnvoll ist. Eine gute Evangelische Schule soll erfahrbar machen, dass sie zur Stärkung der Individuen beiträgt und Verständigung ermöglicht. Denn Wissen und Können – auch im menschlichen Miteinander – wird langfristig die Zukunft unserer Kinder und auch die Zukunft unseres Landes sichern. Bildung ist der Schlüssel sowohl zum beruflichen als auch zum sozialen Erfolg.
Ich wünsche Ihnen, dass Sie an diesem Tag nicht nur unseren Referenten zuhören. Bringen Sie sich in die angebotenen Workshops ein. Stellen Sie Ihre Projekte vor. Kommen Sie mit Ihren Kolleginnen und Kollegen ins Gespräch. Nur so wird nach außen deutlich, dass die Entwicklung Evangelischer Schulen wieder ein kleines Stück vorangekommen ist.“
– Vorstellen von Prof. Dr. Lütgert / von Herrn Nürnberger