„Information zum evang. Pfarrer in Crock…“
„Bezirksverwaltung für Staatssicherheit Abteilung II
Suhl, 19. April 1989 fr–dö/II/A/Tel. 2814/89
Abteilung X
Information zum evang. Pfarrer in Crock
Inoffiziell wurde bekannt, daß am 22. 3. 1989, um 19.20 Uhr, an der Grenzkontrollstelle Rottenbach durch eine aus der DDR kommende BRD Person im Alter von 65 – 70 Jahren ein Brief an einen Beamten des Bundesgrenzschutzes übergeben wurde.
Die männliche BRD–Person reiste mit dem Bus über die Güst Eisfeld/ GKS t Rottenbach wieder in die BRD ein. Als die Insassen des Busses in Rottenbach durch einen Beamten des BGS kontrolliert wurden, versuchte die BRD–Person, einen Brief an den Beamten zu geben und teilte dazu mit, daß dieser Brief eine dringende Nachricht an Bürger aus der Bundesrepublik enthält, die am 24. 3. 1989 über die GKS t Rottenbach in die DDR ausreisen wollen. Anfangs wies der Beamte den Brief mit der Bemerkung „ich bin doch nicht bei der Post“ zurück. Als die BRD Person mitteilte, daß der Absender dieses Briefes der evangelische Pfarrer von Crock ist, nahm der Beamte den Brief mit dem Versprechen, ihn zu übergeben, entgegen.
Leiter der Abteilung
Verteiler KD Hildburghausen
Unterschrift
Liborius, Oberstleutnant“.
II. Teil
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Abschrift des Gemeindebriefes 1987 durch die Stasi
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(Fehler wurden nicht korrigiert.)
„KD Hildburghausen
Hildburghausen, 05.03.1987
A b s c h r i f t
19. Februar 1987
Liebe Gemeindemitglieder in Crock–Oberwind!
Wieder liegt ein Jahr hinter uns. Inzwischen bin ich also schon 6 1/2 Jahre als Pfarrer bei Euch tätig. Manch einer wird darüber erschrecken, denn man ist ja der Meinung, der Pfarrer habe gerade erst angefangen. Seit 6 1/2 Jahren halte ich jeden Sonntag regelmäßig Gottesdienst in Eurer schönen Kirche, deren Renovierung nun auch schon wieder 2 Jahre zurückliegt. Ich habe bisher die Kinder getauft, deren Eltern es gewünscht haben. Ich halte gemeinsam mit meiner Frau Christenlehre, konfirmiere die Jugendlichen, traue die jungen Leute, die bewußt zusammen leben wollen und gebe Euch Trost, wenn Ihr Eure lieben Angehörigen zu Grabe tragt. Ein umfangreiches Arbeitsfeld, das sehr viel Kraft und Ausdauer erfordert. Doch ich tue es für Euch gern.
Natürlich wäre es jetzt interessant, einmal über meine Erfahrungen zu berichten. Warum nimmt nur ein kleiner Kreis von Christen wirklich am Gemeindeleben teil? Warum ärgern sich so viele über die Kirchensteuer? Warum läßt man seine Kinder selbst entscheiden, ob sie in die Christenlehre gehen wollen oder nicht? Warum läßt man die Jugendlichen entscheiden, Konfirmation oder Jugendweihe zu feiern? Warum läßt man dann seine Kinder nicht auch beim Schul- oder Arztbesuch entscheiden, ob sie wollen oder nicht? Der Platz würde nicht ausreichen, um auf alle diese Lebensfragen einzugehen. Unser Gemeindeleben ist aktiv geworden und bietet viele Möglichkeiten über wichtige Lebensfragen zu sprechen.
Das natürlich auf ganz verschiedenen Wegen. Dafür sind wir sehr dankbar. Es ist in vielfacher Hinsicht ein neues Gemeindebewußtsein entstanden, von dem auch ich lernen kann. Alle, die sich daran beteiligen, werden wohl merken, daß das Leben noch andere Möglichkeiten bietet, außer Essen, Schlaf und Arbeit. Wir müssen wohl lernen auf unsere innere Stimme zu hören und nicht auf das Gerede „unserer Nachbarn„. Gott ruft uns dafür an einem jeden 1. Tag der Woche in die Stille. Ich selber muß also entscheiden, ob ich diesen Ruf hören will oder nicht. Wir werden darüber nachdenken müssen. Nur
dann wird sich etwas in unserem christlichen Gemeindeleben bewegen. In der Bibelwoche denken wir in diesem Jahr darüber nach, was Gemeindeleben heißt und wie ich mich darin einbringen kann. Wir alle haben sehr verschiedene Gaben und das ist gut s0. Überwiegend besuchen z.B. die Frauen die Gottesdienste, so war es schon vor 2000 Jahren.
Doch was macht nun das männliche Geschlecht? Wir haben dieses Jahr wider eine dankbare Aufgabe. Im Hinblick auf die Jahre 1988 und 1989 macht es sich erforderlich, daß wir die 200 m lange Mauer um die Kirche herum wieder in Ordnung bringen. So viel kann ich jetzt schon sagen: das Material, die Technik und auch die „Versorgung“ sind gesichert. Es liegt an Euch, Männer !, wie Ihr dieses Angebot benutzt. Es wird Zeit, daß die Kirche auch von außen einen schönen Anblick bietet. Ich rechne mit ca. 15 ganztägigen Arbeitseinsätzen, wenn sich alle beteiligen.
Das andere Problem ist die Küsterei, die auch vor dem Zerfall gerettet werden muß, obwohl Leute darin wohnen. In einem Brief des staatl. Forstwirtschaftsbetriebes an den Landeskirchenrat in Eisenach heißt es: “ ... und überhaupt der Zustand des kirchgemeindeeigenen Flurstückes (Küsterei) liederlich ist.“ Eine Schande für uns. Das fällt auf die Christliche Gemeinde zurück. Wollen wir das? Und wieder wird alles Geld kosten, das Spendenbuch ist dafür offen.
Nun möchte ich Euch nicht im Unklaren darüber lassen, was es mit den 2 Jahreszahlen auf sich hat. Vom 10.Juni bis zum 13. Juni 1988 findet das Gustav–Adolf–Jahresfest der DDR in Crock statt. Dazu erwarten wir ca. 120 Gäste aus dem In– und Ausland. Das Jahresfest soll eine Bereicherung für unser Gemeindeleben werden, in der Begegnung mit Christen aus der Diaspora. Wir wollen Gastgeber sein mit Quartieren, Verpflegung, Freude und Geselligkeit. Nähere Informationen dazu später.
1989 wird Eure Kirche 500 Jahre alt.
Wir wollen eine Woche lang, vom 2. – 9. Juli f e i e r n, denn die 1000 Jahrfeier erleben wir nicht mehr. Das werden zwei Höhepunkte in unserem Gemeindeleben sein, die gut vorbereitet werden miissen. Ich rechne mit Eurer Hilfe. Darum laßt uns jetzt schon beginnen. Zeit soll bleiben. In diesem Jahr die Mauer und die Küsterei, nächstes Jahr Planung der Feste. In der Vorfreude auf diese Ereignisse wünsche ich uns, daß wir noch mehr aufeinander zugehen, gemeinsam Gottes Wort kören, um innerlich ruhiger und ausgeglichener zu werden.
Wo eine Gemeinde lebendig ist, wo eine Gemeinde entsteht und wo eine Gemeinde zum Vorbild wird, da ist Gott am Werk.
Gott behüte Euch und segne Eure Familien.
O mit herzlichen Grüßen
Euer Pfarrer
gez. Johannes Ziegner.“
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Die Stasi fasst diesen Gemeindebrief für ihre Beobachtungen zusammen.
Und das ist schon erstaunlich!
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„KD Hldburghausen
Hildburghausen, 5. März 1987
SED-Kreisleitung
1. Sekretär – Gen. Lindenlaub
Streng vertraulichi
Um Rückgabe wird gebeten!
Hildburghaugan
Nr. Zi / Blatt. 2
I n f o r m a t i on
zu Vorgehensweisen eines evangelischen Pfarrers unter
Beachtung seiner Stellung zu aktuell-politischen Fragen
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Pfarrer Z i e g n e r richtet im Monat Februar 1987 an alle Familien der Ortschaften Crock und Oberwind ein persönliches Schreiben. Ausgehend von der Beurteilung des Standes der Kirchenarbeit fordert er alle Bürger der Gemeinde auf, dazu größere Aktivitäten zu entwickeln.
Als Schwerpunkt bezeichnet er die Gewinnung der Kinder und Jugendlichen für die Kirche, orientiert auf Arbeitseinsätze an kirchlichen Einrichtungen und steckt die Höhepunkte seiner Arbeit bis 1990 ab.
- 1988 „Gustav-Adolf-Jahresfest“ in Crock (10.06. – 13.06.)
Bereits im Oktober 1987 will er ein Vorbereitungskomitee unter Teilnahme von Gästen
aus Schweden und Finnland tagen Lassen.
12 Kirchenveranstaltungen sollen 1987 in Vorbereitung auf diese Feierlichkeiten
stattfinden. - 1989 500 Jahre Kirche in Crock
Pfarrer Z i e g n e r aktiviert derzeitig Hausbesuche verbunden mit persönlichen Gesprächen, die ebenfalls auf die Gewinnung weiterer Bürger für die Interessen der Kirche ausgerichtet sind. Besonders solche Frauen und Männer versucht er anzusprechen, die in der Lage sind „auszustrahlen“ und weitere Bürger für die Kirche und deren Vorhaben zu gewinnen.
Pfarrer Z i e g n e r bezeichnet sich in individuellen Gesprächen als vielseitig und nicht nur anhand des DDR-Fernsehens informierter Mann.
In Meinungsäußerungen begrüßt er derzeitig die „Linie“ Gorbatschows und seine „Reformbestrebungen“ und beurteilt sie als logische Fortführung der Politik Lenins, gebraucht dann aber Formulierumgen, die seiner negativen politischen Grundhaltung zuzuordnan sind:
– Der Sozialimus stagniert seit 30 Jahren
– Um die DDR macht der Entwicklungsprozeß in der SU, der schon längst fällig war, keinen Bogen.
– Hier werden sie sich daran gewöhnen müssen alles zu veröffentlichen, die volle Wahrheit zu sagen und nicht nur die Hälfte.
– Honecker muß jetzt seine Untergebenen beschwichtigen, die haben Angst, ihre Lebensdauerpositionen zu verlieren.
Die Information und das von Pfarrar Z i e g n e r verfaßte Rundschreiben sindzur persönlichen Kenntnisnahme bestimmt.
Bei vorgesehenen auswertenden Maßnahmen ist Rücksprache erforderlich.
Leiter der KD
Unterschrift
(Dömming).“
(Teil III folgt)
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