„Südthüringer Zeitung“ Suhl 2016

Film „Ich will Bauer werden“

Eine Nachkriegs-Geschichte von Peter Lauterbach

„Die Monate vor und nach dem Kriegsende 1945 waren auch in Thüringen eine heikle Zeit – auch für Leute, die Erlebtes zu Papier bringen wollten. Christoph Ziegner, Vater von Johannes Ziegner, hat es dennoch getan. Entstanden sind daraus ein Buch und ein Dokumentarfilm“.

Buchtitel: "Ich will Bauer werden"

Öffentliche Aufführung des Filmprojektes mit Eisenacher Gymnasiasten zum Buch „Ich will Bauer werden“ von Johannes Ziegner am 03.11.2016 in Erfurt.(Foto: Michael Reichel /arifoto.de)

Drei Pappkartons, erzählt Johannes Ziegner, habe er vor wenigen Jahren von seiner Mutter geerbt. Der Inhalt: Geschichten. Manche kannte der Erfurter Pfarrer, der einst im südthüringischen Crock zu Hause war, vom Erzählen. Erst beim Lesen wurde Ihm aber klar, was sein Vater da einst aufgeschrieben hatte.

Letztes Jahr hat Johannes Ziegner ein Buch geschrieben, das aus heutiger Sicht einen seltsam klingenden Titel trägt: „Ich will Bauer werden.“ Nein, nicht er ist damit gemeint, sondern sein Vater Christoph, der 1968 im Alter von nur 42 Jahren starb. Knapp ein Vierteljahrhundert vorher, 1944 wurde er – kaum 18 Jahre alt – zum Verwalter des Guts Neufrankenroda bei Gotha bestellt. Christoph Ziegner blieb bis nach der Bodenreform 1946 und erlebte, wie sich in kurzer Abfolge auf dem Land die politischen Weltordnungen die Klinke in die Hand gaben: Die später als „Junker“ gescholtene Rittmeisterfamilie in der Endphase der NS-Diktatur, Amerikaner, Russen und schließlich Kommunisten.

Das alleine wäre so ungewöhnlich nicht — überall auf dem Thüringer Land lief das Kriegsende so oder ähnlich ab. Christoph Ziegner jedoch hat seine Erlebnisse aufgeschrieben. „Mit der Schreibmaschine“, erzählt sein Sohn Johannes, einst Pfarrer in Crock im Kreis Hildburghausnen und jetzt in Erfurt. In der Gedenkstätte Andreasstraße hatte letzten Donnerstag ein kleiner Dokumentarfilm Premiere, den der Verein Junge Medien Erfurt mit acht Schülern des Eisenacher Luthergymnasiums gedreht hat. Der Film erzählt in Spielszenen Episoden aus dem Buch – angereichert mit dokumentarischem Material aus jener Zeit. Die Notizen seines Vaters fand Johannes Ziegner eben in den vererbten Kartons von seiner Mutter. Sie sind – was Historiker besonders schätzen – subjektive, weil authentische Quellen aus einer Zelt, über die nicht allzu viel notiert wurde. Zu groß war die Furcht, man könne das aus Sicht der jeweils Herrschenden Falsche zu Papier bringen. Auch auf dem Land waren die Zeiten vor und nach Kriegsende vor allem politisch. Und damit nicht ungefährlich für Leute, die gerne sagten, was sie dachten.

Was der Vater als Gutsverwalter in einer seltsamen pragmatischen Liaison mit Amerikanern und Russen erlebt, erscheint aus heutiger Sicht oft skurril. „Manche Episode kursiert schon ewig im Familienkreis“, erzählt Johannes Ziegner. Dass die Russen aus den Erträgen der großen Apfelplantagen, über die das Gut verfügte, vor allem Schnaps und Marmelade machen ließen, ist eine davon. „50.000 Apfelbäume gab es hier einst“, sagt Ziegner. Entsprechend groß war die Schnaps- und Marmeladenfabrikation. Eine andere Episode setzen die Schülerinnen und Schüler des Luther-Gymnasiums illuster in Szene: Bei den Russen ging auch damals nichts ohne einen Stempel. Der von der Gothaer Garnison nach Neufrankenroda abkommandierte Militärverwalter brauchte natürlich auch einen für seine Dokumente. Doch es gab nur einen:  Den des Pflanzenzüchters Eduard Meyer, der das Gut gepachtet hatte. Also stempelte der Rotarmist seine russischen Texte mit dem Meyer’schen Stempel – und schon war die Weit In Ordnung.

So lustig freilich ging es nicht immer zu in Neufrankenroda. Christoph Ziegner war bei Amerikanern wie Russen geblieben, was er schon vor dem Krieg war: Verwalter. Er hatte Glück gehabt und wurde auf Grund eines Herzfehlers nicht noch zur Wehrmacht eingezogen. Bei den neuen Herren hatte er dafür zu sorgen, dass der Laden lief. Und das war weder lustig noch ungefährlich. Während der Entnazifizierung konnte jemand wie Christoph Ziegner ganz schnell denunziert werden – auch wenn er sich keiner Schuld bewusst gewesen ist. Die Russen nutzten das Gut zur Versorgung ihrer in Gotha stationierten Truppen, Schnaps, Marmelade und natürlich auch Schlachtvieh wurden dorthin geschafft – so lange, bis in Neufrankenroda nichts mehr zu holen war.

Dann kam die Bodenreform und das Gutsland wurde aufgeteilt- vor allem unter Flüchtlingen, den späteren Neubauern. Christoph Ziegner erlebte diesen Niedergang mit – ohne etwas daran ändern zu können. Am Ende wird auch er von den Neubauern vom Gut verjagt. „Du hast mitgemacht“, erzählt Johannes Ziegner, hätten sie seinem Vater vorgehalten. Der geht ins Eichsfeld und hält dort an seiner Vision fest, die er einst als Kind gegenüber seinen Eltern äußerte: „Ich will Bauer werden.“

Der Film ist eine echte Low Budget-Produktion des Vereins Junge Medien Erfurt. Geld dafür gab es so gut wie keins und so musste improvisiert werden. Die beiden Medienpädagogen Henryk Balkow und Katharina Behrend haben die Arbeit der acht Schülerinnen und Schüler begleitet, die alles – von den Kulissen über die Kostüme bis zu den Spielszenen selbst entworfen haben. Es Ist eines der größten Projekte des Vereins.

„Wir haben eineinhalb Jahre daran gearbeitet”, sagt Balkow. Der rund 45 Minuten lange Dokumentarfilm erzählt die Geschichte des Guts zwischen 1944 und 1946 im Zeitraffer, aber mit hohem Tempo und raffiniert verdichtet. Dass er in keiner Minute langweilt, darauf ist Balkow besonders stolz. Und auch Johannes Ziegner zeigt sich zufrieden mit dieser „eigenartigen Geschichte”, die da aus dem Buch entstanden ist. Der von seinem Vater aufgeschriebene Mikrokosmos Neufrankenroda zeichnet ein eindrucksvolles Bild jener Zeit. In dem der Zuschauer die üblichen Partizipien vergeblich sucht: Amerikaner, Russen, Neubauern – sie alle sind in Christoph Ziegners Aufzeichnungen zuallererst Menschen, die irgendwie klarkommen müssen mit den Machtverhältnissen ihrer Zeit. Das zu erkennen, darin liegt vielleicht der größte Gewinn des Films.“

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