Finanzierung freier Schulen in Thüringen

Vortrag im Thüringer Landtag 2002

Schulreferent Johannes Ziegner
Erfurt, 01.11.2002

Gesetzentwurf der Landesregierung
– Drucksache 3 / 2693

Sehr geehrte Frau Vorsitzende Dr. Stangner,
sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete,

namens des Landeskirchenrates der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Thüringen und auch im Auftrag der Kirchenleitungen der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen, der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck und der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens möchte ich mich für die Übersendung des vorbezeichneten Gesetzesvorhabens zur Stellungnahme ausdrücklich bedanken.

Die vier Evangelischen Landeskirchen auf dem Gebiet des Freistaats Thüringen möchten aufgrund ihres kirchlichen Auftrags, der auch die Mitverantwortung an dem Bildungsauftrag für junge Menschen umfasst, Stellung beziehen.

Soweit Schulen in Evangelischer Trägerschaft durch das Gesetzesvorhaben betroffen sind, werde ich als Vorsitzender des Gemeinsamen Schulwerks Evangelischer Schulen im Freistaat Thüringen sowohl für die Evangelisch-Lutherische Kirche in Thüringen als auch für die Evangelische Kirche der Kirchenprovinz Sachsen mich zu einigen uns betreffenden Punkten besonders äußern.

1. Änderung des Thüringer Schulgesetzes – Artikel 1 Ziffern 2., 9., 26. und 27.

Die ausdrückliche Benennung der Befähigung junger Menschen zu gesellschaftlicher Mitverantwortung als ein wesentliches Ziel der Schule im Thüringer Schulgesetz wird begrüßt.
Der neu in § 2 Abs. 1 einzufügende Satz 8, wonach es auch Aufgabe der Schule ist, Raum zur Entfaltung von Begabungen sowie für den Ausgleich von Bildungsbenachteiligungen zu bieten, bekräftigt dies ernsthaft.
Nur dort, wo Kinder, Jugendliche und Heranwachsende lernen, sich mit ihren Begabungen und Fähigkeiten engagiert ihrer Mitmenschen anzunehmen und sich so in die Gesellschaft einzubringen, aber auch mit Schwächen und Misserfolgen zu leben, besteht die reale Chance eines fairen, befriedeten und helfenden Miteinanders von Menschen.

Konsequenterweise soll nunmehr die Schule sich für außerschulische Angebote öffnen, so dass auch die Mitarbeiter freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe bei der Gestaltung des Erziehungs- und Schulwesens mit dem Land, den übrigen für das Schulwesen Verantwortlichen, insbesondere auch mit den Lehrern, Eltern und Schülern zusammenwirken.

Die Evangelische Kirche ist als kirchliche Körperschaft des öffentlichen Rechts nach § 75 Abs. 3 des Achten Sozialgesetzbuchs gesetzlich anerkannter Träger der freien Jugendhilfe. Von Beginn an haben wir uns der Erziehung und Bildung von Kindern und Jugendlichen angenommen.

Ausgebildete haupt- und ehrenamtliche kirchliche Mitarbeiter veranstalten, leiten, unterstützen, fördern und koordinieren unter dem Dach der Evangelischen Jugend in Thüringen – einem anerkannten kirchlichen Werk – nahezu flächendeckend örtliche und überörtliche Angebote für eine sinnvolle Freizeitgestaltung, Jugendsozialarbeit, Aus-, Fort- und Weiterbildung, beispielsweise im Rahmen der offenen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen, Schülerarbeit, Studentenarbeit, Bildungsarbeit, Kulturarbeit.

Die Evangelische Kirche verfügt über einen reichen Erfahrungsschatz, den sie den Thüringer Schulen sowohl bezüglich schulischer als auch außerschulischer Angebote nicht vorenthalten möchte. Wir erklären uns deshalb in diesem Rahmen ausdrücklich zu einer Zusammenarbeit mit staatlichen Schulen bereit.

2. Änderung des Thüringer Schulgesetzes – Artikel 1 Ziffer 34.

Die Evangelische Kirche kann keinesfalls die Herausnahme des Religionsunterrichts aus dem Kanon der ordentlichen Lehrfächer an staatlichen Fachschulen und höheren Berufsfachschulen in § 46 Thüringer Schulgesetz akzeptieren.

Gerade in Fachschulausbildungsberufen mit Tätigkeitsschwerpunkten in der
  Kinderarbeit,
  Jugendarbeit,
  Familienarbeit,
  Krankenpflege,
  Altenpflege und Altenarbeit

ist die Vermittlung und die Pflege von Werten in Bezug auf den Mitmenschen im berufsvorbereitenden Ausbildungsbereich ein unablässiges Muss. Insbesondere der Religionsunterricht vermag – auch aufgrund tradierter Wertvorstellungen – hier einen wertvollen Beitrag zu leisten. Wohlfahrtspflege war und ist ein klassisches Betätigungsfeld der Kirchen in unserer noch immer christlich geprägten abendländischen Kultur. Heute ist die Wohlfahrtspflege, d.h. das Sozial- und Gesundheitswesen, ein gemeinsames Aufgabenfeld  von Staat und Kirche.

Es ist zwar zutreffend, dass der Religionsunterricht an Fachschulen und höheren Berufsfachschulen nach dem Grundgesetz und der Thüringer Verfassung vom Staat nicht zwingend garantiert werden muss. Der Landesgesetzgeber kann jedoch über den verfassungsrechtlichen Mindestgarantiebereich hinaus Religionsunterricht den Fachschülern und Berufsfachschülern anbieten.

Der Professor für Staats-, Verwaltungs- und Kirchenrecht Dr. Christoph Link führt in seinem Aufsatz ”Religionsunterricht” im Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland aus: (ich zitiere)
”Nicht unter den Bereich der grundgesetzlichen Gewährleistung des Religionsunterrichts fallen … Fachschulen einschließlich der Berufsfachschulen. … Soweit hier Religionsunterricht erteilt wird, handelt es sich um eine zulässigerweise von den Landesgesetzgebern vorgenommene Ausdehnung über den vom Grundgesetz erfassten Garantiebereich hinaus.”
Listl/Pirson (Hrsg.), Handbuch des Staatskirchenrechts der Bundesrepublik Deutschland, 2. Bd., 2. Aufl. (1995), S. 439 (466)

Für die besondere Erwähnung der Herausnahme der Fachschulen und höheren Berufsfachschulen aus dem Religionsunterricht als ordentliches Lehrfach im Thüringer Schulgesetz besteht somit in keinster Weise ein Bedürfnis. Die Erteilung von konfessionsgebundenem Religionsunterricht an Fachschulen und höheren Berufsfachschulen ist rechtmäßig.

Im Freistaat Thüringen übernehmen mit steigender Tendenz kirchliche Körperschaften – beispielsweise Kirchgemeinden – Kindertagesstätten aus kommunaler Trägerschaft. Zur Zeit befinden sich ca. 150 Kindertagesstätten allein in Evangelischer oder in Diakonischer Trägerschaft. Es wird deutlich, dass ein nicht unerheblicher Anteil von Fachschulabsolventen im Sozialwesen hier einen Arbeitsplatz finden können. Gleiches gilt für den großen Bereich der kirchlichen Arbeit mit Kindern, Jugendlichen, Familien, kranken und alten Menschen. Zur Gewährleistung der Kontinuität, Zuverlässigkeit und Qualität kirchlicher Arbeit im Sozial- und Gesundheitswesen ist die Evangelische Kirche auf gut ausgebildete Fachschulabsolventen als hauptamtliche Mitarbeiter angewiesen. Sie müssen auch zu religiösen Fragen – Grundfragen des Lebens – Stellung beziehen können. Für eine Beschäftigung unter dem Dach der Evangelischen Kirche, d. h. auch des Diakonischen Werks, ist der Nachweis einer soliden Unterweisung im konfessionsgebundenen Religionsunterricht heute neben anderen Kriterien Einstellungsvoraussetzung.

Soweit nun Schulen in Evangelischer, d.h. in freier Trägerschaft betroffen sind, möchte ich nicht unerwähnt lassen, das sich in unserem Evangelischen Schulwerk 11 allgemeinbildende Schulen und  eine Fachschule in freier Trägerschaft organisiert haben:

– 5 Evangelische Grundschulen
(teilweise mit integrativer Beschulung) in Gotha, Eisenach, Ufhoven, Mühlhausen und          Nordhausen;
  1 Evangelische Regelschule in Nordhausen;
  5 Evangelische Gymnasien in Mühlhausen, Eisenach,
       Erfurt, Jena und Altenburg sowie
     die Evangelische Fachschule für Diakonie und
       Sozialpädagogik ”Johannes Falk” in Eisenach.

Einige unserer Schulen sind bereits staatlich anerkannte Ersatzschulen. Andere befinden sich zur Zeit noch im Aufbau. Derzeit werden 2.393 Schüler durch 223 Lehrkräfte an unseren Evangelischen Schulen unterrichtet. Unser Schulwerk ist nach der kirchlichen Ordnung der kirchliche Ansprechpartner für Schule und die Schule betreffende Bildungsfragen im Freistaat Thüringen.

Ausdrücklich begrüssen wir die Zielsetzungen im Thüringer Schulgesetz:
– Stärkung der Verantwortung von Schülern, Eltern und Schulleitungen,
– bessere Einbindung der öffentlichen und freien Träger der Kinder- und Jugendhilfe,
– Schaffung besserer Rahmenbedingungen für eine gemeinsame Beschulung sowohl
besonders begabter als auch benachteiligter Schüler,
– Verbesserung der Chancen von Schülern auf dem Arbeitsmarkt.

Obgleich die Evangelischen Schulträger zur Wahrung der Gleichwertigkeit der an ihren Schulen erreichten Schulabschlüsse noch Anstrengungen – nicht nur allein im schulorganisatorischen Bereich – zu unternehmen haben, sehen wir uns durch die Kodifizierung dieser Zielsetzungen in unserem bisherigen Bemühen bestätigt und hoffen, durch eine dem Mehraufwand  angemessene staatliche Bezuschussung unterstützt zu werden. Die aufgezeigten Änderungen des Thüringer Gesetzes über Schulen in freier Trägerschaft werden den Besonderheiten unserer Schulen besser gerecht als die bisherigen, in der praktischen Anwendung oft streitigen und deshalb mehr als unbefriedigenden Regelungen.

3. Nicht einverstanden sind wir mit der Änderung des Thüringer Schulgesetzes – Artikel 1 Ziffer 4. a)

Im Rahmen des Grundschulunterrichts erscheint uns die Streichung ”unter Einbeziehung von spielerischen Formen des Lernens” in § 4 Thüringer Schulgesetz bedenklich, zumal dies mit einer möglichen Einschränkung der methodischen Freiheit des Lehrers zu begründen versucht wird. Zur Vermeidung von nicht kindgerechtem Frontalunterricht in Grundschulen sollte es bei der bisherigen Regelung verbleiben. Mit gutem Erfolg im Hinblick auf den Übertritt in weiterführende Schulen nach dem vierten Schuljahr arbeiten unsere Evangelischen Grundschulen mit altersgerechten, der kindlichen Entwicklung angepassten pädagogischen Lernkonzepten – also vorwiegend auch mit spielerischen Formen.

Wir befürchten, dass die Streichung des spielerischen Lernens mittel- bis langfristig schon für den Grundschulbereich eine einseitige Sicht auf das Leistungsprinzip befördert und unsere Evangelischen Grundschulen aufgrund ihres besonderen pädagogischen Profils zukünftig um ihre staatliche Anerkennung kämpfen werden müssen.

4. Änderung des Thüringer Schulgesetzes – Artikel 1 Ziffer 4. c)

Evangelische Schulen arbeiten mit reformpädagogischen Konzepten. Die in § 4 geschaffene Möglichkeit einer organisatorischen Zusammenfassung von Grund- und Regelschulen, gegebenenfalls in Einzelfällen auch mit der dreijährigen gymnasialen Oberstufe, vermag uns neue Perspektiven der Schulentwicklung, insbesondere auch der Schulprofilierung, zu eröffnen.

5. Änderung des Thüringer Schulgesetzes – Artikel 1 Ziffer 21.

Die neue Regelung in § 26a, wonach der Schulleiter die Verbreitung einzelner Ausgaben der Schülerzeitung auf dem Schulgelände untersagen kann, wenn deren Inhalt ehrverletzend ist oder in anderer Weise gegen Rechtsvorschriften verstösst, ist bedenklich. Im Hinblick auf die mit einer zulässigen Verbreitung       ausserhalb des Schulgeländes verbundenen presserechtlichen oder straftrechtlichen Konsequenzen, vermissen wir eine Begründungspflicht des Schulleiters gegenüber den noch jugendlichen Schülern. Der Schulleiter wird stark aus seiner erzieherischen Verantwortung zu Lasten oft noch unerfahrener Schüler herausgenommen. Wir regen deshalb an, § 26a Absatz 3 Thüringer Schulgesetz dahingehend zu ergänzen, dass der Schulleiter die von ihm ausgesprochene Untersagung der Verbreitung der Schülerzeitung auf dem Schulgelände in für Schüler altersgerechter und verständlicher Form zu begründen hat.

Träger von Schulen in freier Trägerschaft, die ihre Schulleiter zum Schutz der Schüler hier stärker in die Verantwortung nehmen möchten, sind nicht bereit, sich aufgrund zu Lasten von Schülern gehender lockerer Handhabung an staatlichen Schulen des Vorwurfs der Pressezensur auszusetzen.

In der Hoffnung, dass unsere Anliegen Berücksichtigung finden, möchte ich mich herzlich für Ihre Aufmerksamkeit bedanken.

Schulreferent Johannes Ziegner / Kirchenjuristin Liane Engelbrecht
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