Wahlveranstaltung Nationale Front

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Die politische Gemeinde Crock hat zu einer öffentlichen Versammlung der Nationalen Front betreffs der Wahlvorbereitung und der Vorstellung der Wahlkandidaten in den wenig einladenden Speiseraum der Juri-Gagarin-Schule am 16.03.1989 eingeladen. Die schon vorher festgelegten Kandidaten sollten jetzt „demokratisch“ bestätigt werden. Der IM (informelle Mitarbeiter) der Stasi, Hans Wächter, ehemaliger Offizier der NVA (Nationale Volksarmee) und Führungsorgan des MfS (Ministerium für Staatssicherheit) im Verteidigungszustand hat über meine Anwesenheit einen 3 1/2 seitigen Bericht angefertigt:

KD Hildburghausen
Hildburghausen 19.03.1989
(Handschriftliche Anmerkung)
Information Gen. Höhn z. weiteren Verwendung, Info an 1. KS SED Kl. erl.. 28.3.89 (Unterschrift)

Am 16.03.1989 fand in Crock eine Versammlung im Rahmen des Ortsausschußes der Nationalen Front betreffs Wahlvorbereitung (7. Mai) statt. Hier sollten die Kandidaten vorgestellt und bestätigt werden. Zu dieser Versammlung erschienen ca. 55 Gemeindemitglieder, darunter auch der Pfarrer der Gemeinde Crock (Zieger) und seine Ehefrau. Die Versammlung selbst nahm einen solchen Verlauf, daß die erfahrensten und positiv auftretenden Genossen und Gemeindeglieder danach der Meinung waren, eine solche öffentliche Gemeindevertretersitzung (negativ) schon seit 25 Jahren nicht mehr mitgemacht zu haben. Dies lag vor allem am provokatorischen Auftreten des Pfarrers Z. und seiner Ehefrau, welche mit entsprechenden Diskussionsbeiträgen Anerkennung und Beifall bei einem gewissen Teil der Anwesenden fanden.

Weiterhin wurde erstmals ein Versammlungsleiter (Peter Wiesner, wh. Crock) eingesetzt, welcher das Geschehen nicht unter Kontrolle hatte und nicht mit genügend Konsequenz die Sitzung leitete. Bei W. ist vorgesehen, daß er in der Perspektive die Funktion des Vorsitzenden des Ortsausschußes der Nationalen Front übernehmen soll.

Hinzu kommt noch, daß einige Parteifunktionäre in der Gemeindevertretung Crock den unsachlichen Bemerkungen des Pfarrers zuhörten und hier keine Stellung dazu bezogen bzw. den Dingen ihren Lauf ließen. Besonders hervorzuheben ist dabei der OPO – Sekretär (Albrecht, Dieter) und der OPL – Sekretär (Gliesing, Volker). Die 1. unsachliche Bemerkung, die der Pfarrer Zieger am Anfang

tätigte bestand in seiner Feststellung, daß noch nie so viele Gemeindeglieder an einer öffentlichen Gemeindevertretersitzung teilgenommen hätten wie auf dieser Versammlung. Dazu muß jedoch bemerkt werden, daß er noch nie an einer Gemeindevertretersitzung teilgenommen hat und demnach dies nicht einschätzen konnte, wie es auch von Beteiligten (Gen. Wächter, Hans) richtig gestellt wurde. Daraufhin legte er gleich eine mündliche Beschwerde ein, daß er zu solch einer Veranstaltung nie eingeladen wurde. Ihm wurde jedoch erklärt, dass es sich dabei um öffentliche Veranstaltungen handelt und jeder Bürger daran teilnehmen kann.

Am Anfang wurde ein Referat von Angermann, Rolf (Vorsitzender des Ortsausschußes Nationale Front) abgehalten, in welchem er einen wirklich gut Standpunkt zur Politik von Partei und Regierung vertrat und auch auf sachliche Probleme, die innerhalb des Ortes bestehen, einging.

Der Zieger kritisierte dieses Referat indem er äußerte, daß ein solcher Vortrag typisch für die DDR sei und Republikmaßstab darstellte. Gleichzeitig stellt er fest, daß es in der Gemeinde immer mehr rückwärts geht und diese Entwicklung nicht mehr aufzuhalten sei. Dabei griff er bewusst solche Probleme auf, bei denen er auf Unterstützung von der Jugend und einen Teil der Anwesenden hoffte. Dabei berief er sich gemeinsam mit seiner Frau auf folgende Probleme.

(1) Umweltproblematik
– Der Schornstein der Schule sei zu niedrig gemauert, deshalb würde es den ganzen Rauch / Abqualm in seine Wohnung drücken (gleichzeitig eine schriftliche Eingabe an den Bürgermeister)

(2) in der Schule würden Hartfaserplatten verbrannt werden, welches rechtlich nicht zulässig ist (Frage an Bürgermeister, ob es kein Umweltschutzbeauftragten in Crock gäbe) (3) für die Jugend wird in Crock zu wenig getan und keine Räumlichkeiten zur Verfügung gestellt
(4) der Kirchweg wird von Schulkindern verschändet (Schulkinder sollen wie früher seinen Kirchweg kehren)
(5) Bürger, die im Wohnhaus neben der Kirche wohnen, sollen ausziehen, da es angeblich ein Eigentum der Kirche sei (z. B dies für Christenlehre nutzen, um vermutlich Aktivitäten weit ab von der Ortschaft zu betreiben)

Der Z. schätzte ein, daß gegenwärtig ca. 900 von 1200 Einwohnern im Crock christlich organisiert sind und daß er gerne bereit wäre mitzuarbeiten, damit es in der Gemeinde wieder aufwärtsgeht. Weiterhin stellte er die Frage, ob die Ab – (Aufstellung) stimmung der Kandidaten eine Auswirkung auf ihre zukünftige Funktion hätte. Dabei hatte es stark den Anschein, als wenn der Z. das Ziel hatte, einen Kandidaten aus der Kirche mit auf die Liste aufzunehmen.

Letztendlich stimmten der Z. und seine Ehefrau als einzige gegen die Kandidaten. Mit dem Z. wurde seitens des Bürgermeisters noch vor der Wahl ein Termin vereinbart, um mit ihm über genannte Probleme eine erneute Aussprache zu führen.

Folgende Bürger unterstützten mit unsachliche Bemerkungen und mit Beifall die Ausführungen des Z. und seiner Ehefrau.
– Jugendliche 8. / 9. Klasse
– Höhnel, Karl-Heinz und Ehefrau (Lehrerin POS-Crock
– Langert, Sieglinde (kürzlich aus SED ausgeschlossen)
– Oppel, Gerlinde (Kreistagsabgeordnete)


– Güldenpfennig, Bernd
– Böhlau, Rosalinde (Lehrerin POS-Crock)

Genossen und andere Gemeindemitglieder, die als einzige gegen die Ausführungen des Z. auftraten und entsprechende unsachliche Bemerkung des Z. wiederlegten waren:
– Geiger, Helmut (Bürgermeister) CDU
– Eichhorn, Klaus SED
– Wächter, Hans SED

Nach dieser Versammlung äußerten einige bewährte und aktive Gemeindemitglieder, daß sie auf Grund fehlender Unterstützung bei solchen Versammlungen das letztemal kandidiert haben.

(handschriftlich) Wächter -Os-

SED – Sozialistische Einheitspartei Deutschland
CDU – Christlich Demokratische Union
POS – Polytechnische Oberschule

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Meine Tagebuchaufzeichnung zu dieser Wahlversammlung

Öffentliche Gemeindevertretersitzung
Wahl zur Nationalen Front
16. März.1989. 19.30 Uhr, Speiseraum POS Crock

„Diese erstmalige öffentliche Wahlveranstaltung zur Wahl der Nationalen Front in der DDR habe ich wahrgenommen, um ein paar Anliegen aus meiner Sicht dort einzubringen. Das öffentliche Interesse war allerdings gering, SED-Genossen und andere hauptamtlichen Bürger waren natürlich vertreten. Man sah ihnen aber schon an, daß sie sich durch meine Anwesenheit unwohl fühlten und sie spürten, das geht länger heute Abend. Sie sollten Recht haben.

Für die Diskussion wollte ich auf folgende Probleme aufmerksam machen:

  • Immer noch keinen Gemeinderaum an der Kirche, da das vorhandene, kirchliche Küsterhaus als Wohnraum durch die politische Gemeinde  bei einer Wohnraumzählung „einverleibt“ wurde, trotz Protest!,
  • daß der Schulschornstein zu niedrig ist und trotz Zusage bislang keine Erhöhung vorgenommen wurde,
  • daß trotz Schutzgebiet aus dem Buchenwald um die Kirche herum immer wieder Bäume als Brennholz heimlich gefällt werden,
  • der Schornstein der Nachbarsfamilie Schilling zu niedrig ist und
  • der Ort im Allgemeinen nach dem Urlauberrückgang unsauber und dreckig aussieht.

Was ist erreicht worden? Ich konnte gleich nach dem Eingangsreferat durch den Genossen Angermann meine Anliegen vorbringen, was natürlich den Rahmen gesprengt hat und sich den ganzen Abend lang nur mit meinen Anfragen beschäftigt wurde. Die SED-Genossen hatten nämlich auf eine erfolgreiche Politik der Partei verwiesen, obwohl der Ort von der CDU regiert wird. Die Aufgaben der nächsten Zeit sahen dementsprechend auch nur vor: Schulneubau, Rüben verziehen und Holz machen.

Nach meinen Ausführungen hat der Bürgermeister, Herr Geyer, meinen Diskussionsbeitrag abgelehnt, denn dieser würde nicht in den Rahmen einer solchen Veranstaltung passen. Es war aber meine einzige Chance in der ersten, öffentlichen Wahlveranstaltung seit 1981 mich zu den Kandidaten und deren „Wahlprogramm“ zu äußern. So wurden alle meine Diskussionspunkte negativ beschieden.

Der Genosse und später enttarnte IM Lothar Eichhorn aus dem Kirchweg ließ unterschwellig durchblicken, daß ich bis jetzt nichts getan habe und nun komme und Kritik übe. Seiner Ansicht nach sei die Lebensqualität im Ort gestiegen. Meine Frage nach der Arbeit mit der Jugend, der Instandsetzung des Kirchweges, dem Wegezustand nach Waffenrod und der Rauchbelästigung durch die Schule stimmte er allerdings zu, daß das nicht in Ordnung sei. Gehörte das nicht auch zu Lebensqualität im Ort?

Auf meine Frage, welche Kandidaten zukünftig welche Aufgaben im Ort Crock haben werden, schwiegen alle. Sie schienen davon auszugehen, daß sie alle gewählt werden würden. Gegenkandidaten gab es nicht. Ich habe dann versucht die Kandidaten herauszufordern, aber wieder Schweigen.

Interessant war auch die Begrüßung der Anwesenden: Liebe Freunde. Als besondere Lebensqualität wurden z.B. die 5 rohbaufertigen Eigenheime herausgestellt, die aber allein durch die Eigentümer selbst erstellt wurden und das unter größten Schwierigkeiten der Materialbeschaffung.

Das aber die Kirche renoviert, das Pfarrhaus sowie die gesamten Kirchanlagen wieder instand gesetzt wurden und wegen der restaurierten Kirche viele Gästen kamen, wurde verschwiegen. Inzwischen gibt es in der ehemaligen „Urlauberhochburg“ Crock weder eine offizielle Übernachtungsmöglich, geschweige etwas zu Essen für Gäste.

Nach der Versammlung spreche ich den Genossen Angermann an und sage ihm, daß er meine Äußerungen zu seinem Referat im Bezug auf die Kirche nicht persönlich nehmen soll. Darauf reagierte er bissig und meinte, daß er nur den Wahlaufruf auslegen wollte. Daraufhin habe ich Kurt Hager und Erich Honecker zitiert. Worauf Genosse Angermann antwortete, daß Kurt Hager und Erich Honecker ihn nicht interessierten. Eine merkwürdige Einstellung zu den eigenen Politgrößen.

Zwei Kandidaten haben unentschuldigt gefehlt. Das war peinlich.

Ergebnis dieser Versammlung für mich: Die zu wählenden Gemeindevertreter sind nicht fähig auch nur ein Problem zu erkennen, geschweige es denn anzupacken. Wenn diese Leute den Sozialismus repräsentieren, dann kann ich sie nicht wählen.“

Anmerkung: Zur Wahl habe ich alle Kandidaten durchgestrichen, auch die 3 Buchstaben DDR. Trotz Wahlkabine hat die Stasi das heraus bekommen.