Andacht zu www.religion.de

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Andacht
Religionslehrertag im Jahr 2000
Neudietendorf

Thema: www.religion.de

„Liebe Religionslehrerinnen und – lehrer,
wir erleben heute eine Premiere. Die Kirche der `Herrnhuter Brüdergemeine` in Neudietendorf ist in Thüringen seit einer Woche die erste Kirche mit Internetanschluß. Dank des MDR.
Wie einfach ist es geworden: www.gwdg.de. Hier gibt es zu jedem Sonn- und Feiertag eine aktuelle Predigt. Predigten finde ich auch unter www.dike.de. Für theologische Arbeit kann man auf www.uni-mainz.de zurückgreifen. Www.religion.de lenkt mich auf die Homepage der EKD und leitet mich dort weiter zur Zentralstelle für Weltanschauungsfragen.

Dazu eine kleine  Zukunftsgeschichte. Der kleine Enkelsohn liegt mit einem Teddybär abends im Bett und die Großmutter liest noch eine Geschichte vor, in der ein Zauberer vorkommt. Der Enkel fragt: „Oma, was ist ein Zauberer?“ Jetzt werden wir spüren, dass unsere Gesellschaft dabei ist einen riesen Mediensprung zu machen. Die Oma antwortet nämlich: „Ja, mein Enkelsohn, ein Zauberer ist so eine Art Suchmaschine, mit der du jede Webseite finden und alles bestellen kannst.“

In England können bei einem Sender katholische Christen beichten. Es öffnet sich in der Webseite ein himmelblaues Fensterchen. Der Sünder kann sich mit dem Pfeil nach rechts zum Beichtformular linken. Entweder gibt der Beladene seine Sünden direkt in ein kleines Fenster ein oder er begnügt sich mit einem englischen Standardsündenbekenntnis. Dann muß man wieder mit dem Pfeil klicken – fertig ist die Beichte. Keine Angst, den Text kann niemand lesen, er landet sozusagen im Datenhimmel. In der nächsten Folge hören Sie: Wie komme ich ins Pfarrhaus? Antwort: Das Internet macht es möglich.

Während viele Theologen noch völlig verunsichert sind, ob die Internetseelsorge einen festen Platz im pastoralen Konzept der Kirchen haben soll, haben andere einen völlig unbefangenen Zugang zu den neuen Medien. Das Internet ist inzwischen ein globales Pfarrhaus des 21. Jahrhunderts geworden.

Eine Zahl möchte ich ihnen nur nennen, die belegt, wie das Medium genutzt wird. Unter www.netburger.at erlebt man ein digitales Religionsbuch für Schüler von 14 bis 18 Jahren. Hier werden junge Leute eingeladen zu bestimmten Themen, zur Gestaltung von Internetgottesdiensten, zum Gespräch und vieles andere mehr. Schon nach zwei Jahren hatten sich 60.000 Surfer eingelinkt, so viele Religionsschüler besuchen wöchentlich den Evangelischen Religionsunterricht in der Thüringer Kirche.

Jetzt versuche ich auch noch die alte Bibel mit ihrer alten frohen Botschaft dem Evangelium dagegen oder daneben zu stellen. Das Evangelium sieht nicht schwarz für die Menschen mit Internetanschluss. Wir wissen ja, damit die Erde bewohnbarer wird, braucht es den Einsatz weitreichender wissenschaftlicher und technischer Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten vermögen Leiden zu lindern, Hungersnöte abzuwenden und die Menschheitsfamilie überall auf der Erde am Leben zu erhalten. Technische Mittel dieser Art sind unabdingbar, sie allein aber genügen nicht. Wenn wir eines schönen morgens in einer funktionalisierten, hochtechnisierten Gesellschaften erwachen, in denen aber das Vertrauen des Glaubens, die Einsicht des Herzens, der Durst nach Versöhnung versiegt wären, wieviel Zukunft  bliebe uns dann noch?

Kinder sehen, wie ihre Eltern auseinandergeraten und sich entzweien. Sie tragen für ihr Leben einen inneren Riß davon, der sie zeichnet. Der Abbruch menschlicher Beziehungen gehört zu den stärksten Wunden im 21. Jahrhundert.

Jugendliche werden von Zweifeln erfaßt und können weder Freunden noch Menschen, geschweige Gott vertrauen. Sie wurden von Menschen verlassen, denen Gott sie von Geburt an anvertraut hatte.

Wieviel alte Menschen leiden unter der Vereinsamung? Oftmals glauben sie, ihr Leben nicht gemeistert zu haben, sie haben das Gefühl, sie sind nichts wert. Haben sie nicht dazu beigetragen, dass Christus nicht in unsere Familien in Vergessenheit geriet?

Damit auf unserer Erde Vertrauen wachsen kann, hier, in den Schulen, in den Familien, braucht es dein und mein Leben und das Leben vieler anderer. Um anzufangen, ist dabei nicht die Erfahrung eines ganzen Lebens nötig.

Wir erleben es doch auch: Immer wieder geben Menschen ihr Bestes, um Sauerteig des Vertrauens zwischen einzelnen Menschen zu sein. Sie erheben sich unter uns als Zeichen des Ungeahnten. Sie bauen sich in Stunden unbegreiflicher Anfechtung auf. Viele von ihnen strahlen, ohne es zu wissen, durch ihr Leben die Heiligkeit Jesu Christi wieder.

Höre ich auch den Ruf, den Christus auch an mich richtet? „Du, folge mir nach!“ Vielleicht sagt der eine oder andere: Dazu fehlt mir der Mut. Da kann ich nur mutig rufen: Streif die Mutlosigkeit im Namen Jesu ab. Laß die Verzweiflung hinter Dir, sei ein lebendiger Mensch. Wenn dazu www.religion.de wieder ein Stück hilft, dann bin ich dankbar.

Und klar ist auch, dass das Internet nicht das Allheilmittel ist, vielmehr soll es auf meinem Weg zu einem lebendigen Menschen so eingesetzt werden, daß es mir die Weitsicht und den Freiraum schafft, den ich brauche, um den anderen neben mir begegnen zu können. www.religion.de ersetzt nicht den Menschen, den Bruder oder die Schwester neben mir. Gott sei Dank.“

(Schulpfarrer Johannes Ziegner)